Er hielt 1933 die letzte freie Rede im deutschen Reichstag und bekannte sich zu Menschlichkeit und Gerechtigkeit: Otto Wels, der Vorsitzende der SPD-Reichstagsfraktion. Danach folgten 12 Jahre nationalsozialistische Diktatur, keine freie Rede, keine Menschlichkeit. Aber wie bringt man so jemanden der heutigen Jugend nahe? Die SPD-Bundestagsfraktion hat dafür vor fünf Jahren einen von den Abgeordneten privat gestifteten Preis ins Leben gerufen. Seitdem verleiht sie jährlich im Rahmen ihres Frühjahrsempfangs den Otto-Wels-Preis für Demokratie. Er soll Jugendliche ermuntern, sich mit Demokratie auseinanderzusetzen und sich zu engagieren.
Respekt ist Grundlage für Demokratie
Dazu passt, dass sich die SPD-Fraktion zur diesjährigen Preisübergabe jemanden eingeladen hat, der junge Menschen für Politik begeistert: den SPD-Vorsitzenden Martin Schulz. Seit seiner Nominierung zum Kanzlerkandidaten sind tausende Menschen der SPD beigetreten, die Mehrzahl ist jünger als 35. Am Mittwochabend ist der SPD-Fraktionssaal bis auf den letzten Platz besetzt. „Noch nie war das Interesse an unserem Frühjahrsempfang so groß“, sagt SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann in seiner Begrüßung. Er sieht es als gutes Zeichen – für die SPD, aber auch für die Demokratie. „Es war lange nicht mehr so wichtig wie heute, junge Menschen zu ermuntern, sich für die Demokratie einzusetzen.“
Bei der anschließenden Talk-Runde mit Martin Schulz und der Autorin und Journalistin Sineb El Masrar geht es vor allem um Respekt. „Respekt steht am Anfang einer jeden offenen und toleranten Gesellschaft“, sagt Martin Schulz. Und es sei die Aufgabe aller, dafür zu sorgen, dass der vom Grundgesetz garantierte Respekt in der Realität gelebt würde.
Junge Menschen stärken gegen Populisten
Sineb El Masrar spannte den Bogen zu Otto Wels und seiner Rede, die daran erinnere, dass Demokratie niemals sicher sei, sondern immer wieder verteidigt werden müsse. „Wir müssen junge Menschen mit dem nötigen Rüstzeug ausstatten, damit sie den Leuten mit vermeintlich einfachen Lösungen nicht auf den Leim gehen.“
Dass der Otto-Wels-Preis seinen Beitrag dazu leistet, belegen die 33 Einsendungen aus dem ganzen Bundesgebiet, aus denen die Jury vier Preisträger ausgewählt hat. Jugendliche und junge Erwachse im Alter von 16 bis 20 Jahren waren aufgerufen, sich unter dem Motto „Miteinander statt Ausgrenzung“ zu beteiligen. Wie können wir den sozialen Zusammenhalt stärken? Wie reagieren wir auf Hetze und Fake-News in den sozialen Netzwerken? Warum ist Respekt für unser Zusammenleben so wichtig? Auf diese Fragen geben die Jugendlichen Antworten in Form von Essays, Reden, Videos, Plakate, Illustrationen und Präsentationen.
Für das offene Europa auf die Straße
Den ersten Preis bekam die 16-jährige Schülerin Ines Sadki aus Rheinland-Pfalz. Auf einem detailreichen Plakat zeigt sie Menschen, die aufgrund von Krieg, Zerstörung und Bedrohung aus ihrer Heimat fliehen mussten. Ihnen gegenüber stellt sie das friedliche Zusammenleben der Menschen in Deutschland.
Sie und die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer stehen für eine Jugend, die sich einbringen und engagieren will. Und sie sind damit ein ganzes Stück weiter als es viele Ältere heute sind. Martin Schulz erinnerte daran, dass es vor allem die jungen Menschen seien, die derzeit für Europa auf die Straße gingen. „Sie wollen sich das offene, tolerante und respektvolle Europa nicht nehmen lassen.“ Ganz im Sinne von Otto Wels.